Zum Weltfrauentag

Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus zeigt Klaus Gjasula von SC Paderborn 07 die gelbe Karte.

Ist es notwendig, einen Weltfrauentag zu feiern? Muss es nicht einen Weltmännertag geben, gerechtigkeitshalber? Nun, ich denke nicht. Der 8. März macht uns immer wieder bewusst, dass wir im Patriarchat leben und einen Überschuss an männlicher Energie ertragen müssen. Dass die weibliche Energie wenig Wertschätzung findet, dass sie immer noch „das Gedöns“ ist. Dass wir Frauen uns auch eher mit der männlichen Energie identifizieren und unsere wahre Natur oft verleugnen.

Wir müssen uns nicht die Hosen anziehen (auch im übertragenen Sinne), um das Gleichgewicht zu erreichen, wir müssen nicht wie Männer sein, ganz im Gegenteil. Unsere Kraft liegt in der weiblichen Energie – im Tiefgang, Emotionalität, Empfindlichkeit, Empfindsamkeit, Solidarität, Fürsorglichkeit, Weichheit, Nachgiebigkeit, Fruchtbarkeit. Das schließt nicht aus, dass wir auch kraft- und energievoll sein können oder dass wir nach Selbstverwirklichung streben dürfen.

Jede Frau und Mutter hat enorme Macht in ihrer Familie. Sie ist das emotionale Zentrum der Familie, wie die Sonne, um die die Planeten kreisen. Sie macht ihre Familie zu einem Ort, an dem sich jeder mit seinem Wesen, seinen Wünschen und Anliegen zeigen kann. Oder vor Angst und Überforderung kann sie unbewusst einen Ort erzeugen, wo kein Kontakt stattfinden kann, wo jeder Tag unberechenbar verläuft, wo man keine Ruhe und keine Geborgenheit finden kann. Das können wir aber nicht nur Zuhause, sondern  auch im Unternehmen oder in der Politik.

Am Weltfrauentag können wir uns fragen, wie viel weiblicher Energie in uns fließt und ob sich diese weibliche Energie mit der Männlichen im Frieden verbinden kann. Denn das Leben ist genau das – der Tanz der zwei Kräfte, die sich gegenseitig reizvoll verschieden finden, einander brauchen und zu einander streben.

Persönlichkeitsverlust im Wochenbett. Und was wir dafür für die neue Weltordnung gewinnen.

Symptome als Sprache der Seele

Eine neue Podcast-Folge ist online – ein Interview mit mir über die seelische Bedeutung der Symptome. Irina Schott betreibt ein Podcast-Kanal auf Spotify, in dem sie die Selbstentdeckungsreise als übergreifendes Thema aus verschiedenen Perspektiven durchleuchtet. Im aktuellen Interview geht es um körperliche Symptome und ihre seelische Bedeutung. Wenn wir uns als Ganzes sehen, so gibt es nichts im Körper, was auch nicht in der Seele wäre. Damit sind Symptome nicht nur etwas Lästiges, was beseitigt werden soll, sondern auch immer eine Chance, etwas Neues über sich selbst (oder dein Kind) zu erfahren. Wie man Symptome deutet, aus ihnen lernt oder was die Symptome unserer Kinder mit uns zu tun haben, erfährst du im Podcast. Viel Spaß beim Hören.

https://open.spotify.com/episode/4DaLAAB43AwqbcRNNs0y66?si=Gr3O4mFyQkyo7YHJ9s1uSw

Die Lehre aus dem Zwillings-Dilemma

 

Ein Rätsel über das Coronavirus werfen zwei Zwillingsbrüder in Italien auf. Beide erkrankten an Covid-19, doch einer kommt glimpflich davon, während der andere um sein Leben kämpfen muss. Was machte den Unterschied aus?

Man suchte nach Unterschieden zwischen den beiden, verglich BMIs, Vorerkrankungen, Blutbild, schlechte Gewohnheiten etc. und fand keine Unterschiede. Kein Wunder, denn man suchte ja nur im Körper. Und identischer könnten sich die beiden körperlich gar nicht sein. Die seelischen Faktoren wurden dabei komplett ausgeblendet.

Ein einziger Unterschied wurde erwähnt, doch ihm wurde keine Bedeutung beigemessen: Derjenige, der leichteren Krankheitsverlauf hatte, ist verheiratet, der andere nicht. Der Single-Bruder wohnt aber mit dem Verheirateten im gleichen Haushalt. Was sagt uns diese Lebenskonstellation?

Die einzige Schlussfolgerung, die die Wissenschaftler aus dem Familienstatus der Brüder gezogen haben, war, dass sich der Verheiratete vielleicht besser ernähre und daher bessere Darmflora hätte? Doch der Single aß ja am gleichen Tisch. Interessant wäre doch, die beiden nach ihrem Charakter, Lebenseinstellungen und anderen seelischen Faktoren zu untersuchen. Psychologen würden da viele einfallen, wie z. B. ihre Elternbezogenheit oder Beziehungsfähigkeit.

Doch die Krankheit entstehe ja nur im Körper, so die Annahme. Wie skurril ist diese Blindheit! Es ist ja wohl offensichtlich, dass das Liebesleben der beiden den Unterschied macht. Der Gesündere lebt in einer festen Partnerschaft, er hat eine Beziehung mit Körperkontakt, Sexualität und seelischem Kontakt! Der andere hängt an seinem Bruder und hat kein eigenes „Nest“ gebaut.

Corona befällt unsere Atemwege und die Lunge – unser Kommunikationsorgan, in dem ständiger Austausch zwischen Innen und Außen stattfindet. Die Lunge ist neben der Haut unser wichtiges Kontaktorgan. Wir atmen immer die gleiche Luft und teilen uns diese. Meine Hypothese an diese Stelle ist, dass der Verheiratete mit dem Kontakt und Austausch besser umgehen kann als sein Bruder.

Dieser Fall gibt uns eine einzigartige Chance, etwas über uns selbst zu erfahren. Doch wir verharren in alten Mustern und alten Sichtweisen und lernen nichts aus der Krise. Warum blenden wir die Seele aus? Warum klammern wir am Bild des Menschen, der nur aus Körper besteht? Warum gehen wir immer noch davon aus, dass Krankheiten wie Fremdkörper willkürlich vom Himmel auf uns fallen?

Dabei passiert die Erkrankung nicht nur durch das Vorhandensein eines Erregers, sondern auch durch unsere Durchlässigkeit und unsere Bereitschaft, den Virus in uns hineinzulassen. Wir versuchen, die Pandemie zu bekämpfen, indem wir Kontakte einschränken, auf Distanz gehen bis hin zur kompletten Vereinsamung. Das ist paradox. Wir müssen uns eher darin üben, kontaktfähiger zu werden, unsere Kontaktbereitschaft zu stärken sowie an unserer Beziehungsfähigkeit arbeiten. Gerade weil das Virus ständig mutiert, kommen wir auch mit einer Impfung nicht dagegen an. Es fordert uns heraus, unsere gesamte Denk- und Lebensweise zu verändern. Wir müssen mehr wie der verheiratete Bruder werden, nicht wie der Vereinsamte.

https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/coronavirus-das-corona-raetsel-der-zwillingsbrueder-a-c802a947-98ea-451a-a5e3-1bb75bd7c0bb

 

Neue Podcasts

Ihr Lieben, heute teile ich mit euch meine letzten Podcasts, die durch Kooperation mit einer Blogger-Mama @espensmama entstanden sind. Sie hat ihr eigenes Spotify-Kanal, in dem Mutterschaftsthemen angesprochen werden, sehr einfühlsam und manchmal schmerzhaft ehrlich, wie das Leben manchmal eben ist.

Von mir hat sie zwei Podcast-Beiträge veröffentlich. In jedem Beitrag sind jeweils zwei Fragen aus der Follower-Gemeinschaft beantwortet worden:

Im ersten Podcast geht es zum einem um das Thema “Wer bin ich?” – darüber, durch welche äußeren Merkmale wir uns oft definieren und wie unser wahres Ich dadurch verloren geht.

Im zweiten Teil beantworte ich die Frage “Was ist, wenn ich mich an nichts Schlimmes aus meiner Kindheit erinnern kann? Wo kann ich ansetzen?” Eine sehr gute Frage und ein sehr häufiger Fall.

 

Im zweiten Podcast sind ebenfalls zwei Fragen beantwortet. Zum einem “Wie komme ich ins Fühlen?” Was hilft, wenn ich zu verkopft bin und kaum Gefühle zulasse?

Die zweite Frage ist ähnlich und lautet so: “Ich habe mein Dilemma verstanden. Wie komme ich da wieder heraus?” Das ist die Frage nach dem Heilungsweg, bei dem uns der Verstand nur teilweise helfen kann. Die wahre Heilung kommt durch das Fühlen.

Ich wünsche euch viel Spaß mit den Podcasts!

Eure Inga

Gefühle statt Diagnosen

Gefühle statt Diagnosen

Gefühle statt Diagnosen

„Meine Mutter ist narzisstisch“ – höre ich oft von Frauen, mit denen ich arbeite. Und obwohl ich genau weiß, was sie meinen, spüre ich inneren Widerstand gegen diese Art von Bezeichnung. Ja, fast schon Wut auf „Fachautoren“, die solche erfinden und verbreiten (ich erwähne hier nur „gefühlsstark“ oder „hochsensibel“). Alle diese Bezeichnungen bringen nicht die Wahrheit zum Tageslicht. Ganz im Gegenteil, sie entfernen uns sogar von der Wahrheit und von uns selbst. Sie heilen nichts und erschweren nur die Heilung. Warum ist es so?

Weil sie unseren Fokus nach außen lenken. Wir reden dann nur über die Mutter (oder über die Anderen) und darüber, was sie alles „falsch“ machen. Es fühlt sich an wie Lästern. Wir regen uns auf, entwickeln Wut, stellen sie womöglich zur Rede und treiben in die Defensive. Das Ganze droht zu eskalieren und niemand ist geheilt. Statt nach innen zu schauen und zu fühlen.  

Um zu heilen, müssen wir zu uns selbst finden. Wichtig ist dabei, nicht wie unsere Mutter wirklich war, sondern wie wir sie erlebt haben, wie es uns mit ihr ergangen war. Fühlten wir uns in ihrer Nähe verbunden oder alleine, verstanden oder verurteilt, gesehen oder missachtet, angehimmelt oder beschämt. Diese Gefühle verbinden uns mit unsrem Innenleben und mit uns selbst. Das Problem ist nur, dass wir schon sehr früh verlernt haben, zu fühlen und unseren Gefühlen zu vertrauen. Sie wurden uns ja abgesprochen, wir dürften negative Gefühle nicht äußern. Wir mussten lieb und brav sein, sonst drohte die Strafe mit Schweigen und Kontaktentzug. So haben wir schon sehr früh unseren inneren Kompass anderen zuliebe zur Seite geschoben.   

Um die alten Gefühle wieder zu entdecken, hilft es, konkret zu werden: „Erzähle mir reale Ereignisse und Beispielen wie z. B. gemeinsame Mahlzeiten, zu Bett Begleitung, Hilfestellung bei Schwierigkeiten, Hausaufgaben, die Wochenenden, Kindergeburtstage oder Weihnachten. Wie war es? Erzähle mir wahre Geschichten!“ Und dann spüren wir etwas, wir sehen Farben, hören den Ton der Stimmen, erleben die Stimmung, Freude, Hoffnungen oder Verzweiflung, die Einsamkeit, die Traurigkeit von nicht verstanden werden, Schamgefühle, Erwartungen, eisige Kälte, geistige Abwesenheit, seelische Distanz oder brennende Ungerechtigkeit.  

Und müssen wir unserer Mutter denn alles durchgehen lassen? Dürfen wir nicht böse auf sie sein? Es ist eine Frage. Auch unsere Mutter ist nur ein Produkt ihrer eigenen Lebensgeschichte und ihres Leidenswegs. Wie jede Mutter wollte sie wahrscheinlich nur das Beste für uns, konnte es aber nur soweit bringen. Wenn wir sie beschreiben, dann ist sie wahrscheinlich „selbstbezogen, ohne Einfühlungsvermögen, geht immer nur von sich aus. Die Welt ist so, wie sie sich diese vorstellt. Andere Weltbilder haben für sie keine Daseinsberechtigung.“ Das ist die Beschreibung eines unreifen Menschen, der in seiner seelischen Entwicklung zurückgeblieben ist, in seiner kindischen Selbstbezogenheit.   

Als wir klein waren, kam uns unsere Mutter aber völlig normal vor. Wir hatten ja keine andere und daher keinen Vergleich. Wir haben sie geliebt, so wie sie war. Diese Liebe ist angeboren. Jedes Kind liebt die Mutter, die es bekommt. Erst als Erwachsene fühlen wir uns durch sie betrogen, wenn wir unsere Entbehrungen bewusst werden. Doch die Wut hilft uns nicht. Sie übertüncht oft nur die hinter ihr tief verborgene Traurigkeit. 

Wenn ich für meine Klienten diese Distanz, die Einsamkeit oder Verzweiflung in Worte fasse und zum Spiegel werde, höre ich dann: „So habe ich es noch nie gesehen“. Etwas bewegt sich im Inneren, ein neues Selbstbild entsteht. Wir kommen an unsere wahren Gefühle heran, das heißt auch an uns selbst. Wenn wir begreifen, was wir wirklich erlebt haben, verstehen wir besser, wer wir heute sind, was uns geformt hat und woher wir kommen. Wir kommen unserer seelischen Wahrheit näher. Das bedeutet für mich Heilung.   

Wenn wir aber Etiketten verteilen, dann sprechen wir nur über den Anderen und kommen uns selbst kein Stück näher. Etiketten sind statische Bilder, Käfige, Stigmas, Diagnosen, Bestimmer des Schicksals, Fahrkarte auf nur einer Strecke mit keiner Option zum Umsteigen. 

Es ist ein Unterschied zu sagen „Du bist so oder so“, oder „dir geschieht gerade etwas“. Fühle den Unterschied: 

„Du bist ein Taugenichts“ vs. „Du findest gerade nichts, was dich begeistert und deinem Talent entspricht?“ 

„Du bist eine Zicke“ vs. „Es scheint, als wärest du nicht einverstanden, dass dich etwas stört?“ 

„Du bist eine Mimose“ vs. „Du empfindest viel und erlebst Dinge intensiv.“ 

Die „offene“ Beschreibung gibt dem Menschen eine Möglichkeit, sich auch mal anders zu verhalten, währen die Etiketten betonieren uns in eine feste Schablone fest.  

Manche empfinden es aber entlastend, als „etwas“ benannt zu werden und eine Art Diagnose zu bekommen. Hier wird das Verlangen nach Sicherheit und Zuverlässigkeit spürbar. Es ist ein kindisches Verlangen, wenn wir die Aufregung der Erwachsenen erlebten, wussten aber nicht, was an uns „falsch“ war. Es fehlt uns daher der innere Kompass und die Verbundenheit mit sich selbst. Und wenn alles schwimmt, dann wird so eine „Diagnose“ als Erleichterung erlebt, immerhin steht es schwarz auf weiß. Endlich weiß ich, was ich habe. Aber das ist eine falsche Sicherheit. Niemand kommt auf die Welt mit einer „Macke“. Sehr wohl aber erleben wir Dinge und tragen Wunden davon.

Das Fühlen ist der Schlüssel zum Heilen. Wenn wir uns selbst wieder spüren, spüren wir auch andere Menschen und erkennen, dass sie ebenfalls leiden oder hoffen, sich bemühen oder uns Gefallen tun. Wir sehen zum ersten Mal in ihre Augen und dahinter. Wir erkennen, dass unsere Mutter nicht per se böse oder etwa krank an Narzissmus ist, sondern vor allem eins – verletzt, innerlich verhärtet, eingefroren, seelisch verstümmelt aufgrund dessen, was sie selbst erlebt hat. Niemand ist schuld im ewigen Fluss des Leidens, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Aber wir können ihn unterbrechen, indem wir uns wieder spüren. So müssen wir das Leiden nicht wieder bei jemanden abladen, wie zum Beispiel bei unseren Kindern. 

Hütet euch daher vor Bezeichnungen wie narzisstisch, gefühlsstark, hochsensibel etc., auch von allen Arten von Ansätzen, Ideologien und Ismen, wie Bedürfnis orientiert, artgerecht, attached, etc. Wie hübsch sie auch klingen mögen, helfen sie uns nicht, der Wahrheit näher zu kommen – an das, was mit uns geschieht, an das, was wir fühlen und erleben. Die Antworten sind nicht im Außen, sondern in uns. Wir müssen zuerst unsere Gefühle wieder spüren, der Rest ergibt sich ganz von alleine. 

Ich unterscheide schon lange nicht mehr zwischen Menschen, die intelligent sind oder dumm, reich oder arm, schön oder durchschnittlich, sondern zwischen Menschen, die fühlen und denjenigen, die es nicht tun, Menschen, die sich selbst nah sind und denjenigen, die Fremde sind in ihrem eigenen seelischen Zuhause. Die Letzten kann man sehr leicht erkennen, da sie nichts Persönliches von sich preisgeben, nicht von ihren Gefühlen erzählen und jede Frage nur mit Floskeln beantworten. Sie beschränken sich auf Schablonen und an die gerade vertretbaren Meinungen. Finden Dinge gut oder schlecht. Diese Menschen fühlen sich an wie Attrappen, mit denen kein echter Kontakt von Seele zur Seele möglich ist.  

Hütet euch vor Attrappen, hütet euch vor Etiketten. Fühlt, was mit euch geschieht.  

Über mich

Inga Erchova ist Dipl.-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Autorin und dreifache Mutter. Erfahre mehr über sie und ihre Arbeitsweise…

Buchvorschau

Jede Mutter kann glücklich sein

Psychotherapie am Telefon oder über Skype

Nicht immer müssen wir mit dem Therapeuten im gleichen Raum sein. Das Telefon bietet den Vorteil, dass man in vertrauter Umgebung eigener vier Wände bleibt und sich dadurch besser öffnen kann. Bei einer Sitzung über Skype vergisst man oft die räumliche Distanz und einige Zeitzonen Zeitunterschied.

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Das neue Feindbild „Die Irren mit dem Aluhut“ und was wir von der kindlichen Ohnmacht darauf projizieren.

Wir erleben gerade eine Spaltung der Gesellschaft. Es bilden sich zwei Fronten: Die einen protestieren auf der Straße gegen die Einschränkungen, die anderen sind über die Proteste empört. Hervorgerufen wurde diese Spaltung durch das Einführen von Mundschutzpflicht. Scheinbar harmlose Maßnahme zeigte unerwartet eine starke symbolische Wirkungskraft.

Durch die Maske wird unser halbes Gesicht verdeckt. Aus Vermummungsverbot ist nun ein Vermummungsgebot geworden. Das Gesicht zeigen, das heißt, sich bekennen und Stellung beziehen, wird dadurch unmöglich. Der Mund – unser Kommunikationsorgan wird verdeckt. Wir empfinden es als Begrenzung der Aussprache und Meinungsfreiheit. Auch das Atmen wird erschwert, wir können nicht durchatmen und ersticken innerlich. Das alles führte dazu, dass eine Aufstandsbewegung entstanden ist und die Mundschutzmaske zu „Maulkorb“ deklariert hat. Viele wehren sich dagegen und ziehen den Ärger der „Gehorsamen“ auf sich. Es schwingt aber mehr als nur Unverständnis mit, der Ärger geht fast schon in Verachtung über? “Die Irren mit dem Aluhut” werden zu neuem Feinbild, belächelt und angefeindet. Warum eigentlich?

Für die meisten von uns ist fremdbestimmt zu sein der Normalzustand, seit dem Babyalter: Wir wurden nicht an die Brust genommen, wann wir es gebraucht hatten, sondern wann die Uhr es angeordnet hat; unsere Mama hat uns nicht auf den Arm genommen, wenn wir nach ihr gerufen haben, sondern uns alleine im leeren Zimmer weinen gelassen. So sind wir mit dem Gefühl groß geworden, unsere innere Stimme ist wirkungslos, unser Leiden findet kein Gehör, wir sind allein in dieser Welt und müssen uns fügen, dieser äußeren Kraft, die mächtiger ist als wir, die über uns bestimmt, auf Leben und Tod.

Nun sind wir groß geworden und sind nicht mehr der Mutter ausgeliefert, dennoch tragen wir die gelernte Wehrlosigkeit in uns, dieses alte Gefühl, dass wir nicht zählen, dass wir aushalten und uns fügen müssen. Heute gibt uns der Intellekt genügen „gute Gründe“, warum das so richtig sei. Es beruhigt uns ein wenig zu glauben, dass es doch bestimmt für etwas gut ist: für die Gesellschaft, für die Gesundheit, für den Kampf gegen die gefährliche Krankheit. Unsere innere Stimme ist jedoch nicht ganz in uns erloschen, sie ist wie eine winzige Flamme noch am Leben, tief in uns begraben. Aber sie darf nicht groß werden, nicht entflammen, sonst kommt die große Mutter und bestraft uns. Wir halten lieber aus, andere tun es doch auch. Manche haben es noch viel schlimmer als wir, also halten wir durch.

Aber wenn Menschen kommen, die ihre innere Stimme groß nach außen kehren und für ihre Selbstbestimmung kämpfen, dann wirkt es auf uns wie ein Verrat. Wie können sie nur? Was fällt ihnen ein? Wir müssen doch zusammenhalten, alle gleich verzichten, gleich leiden, gleich zurückstecken, an einem Strang ziehen. Aber wohin? Warum? Wozu? Das fragen wir uns nicht, denn das würde unsere kleine Flamme groß aufflammen lassen.

Wir dürfen nicht zweifeln. Es wird getan, was von oben angeordnet wird, wie die Mama damals. In unserer infantilen Hilflosigkeit hatten wir damals keine Chance, unsere Wünsche erfüllt zu bekommen. Nein, das galt als Verwöhnen und wurde verpönt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Selbstbestimmung für uns heute als purer Luxus erscheint, ein unerlaubtes Privileg. Hält man sich denn für etwas Besseres? Es bleibt uns nichts anderes mehr übrig, als Steine nach ihnen zu werden, sie zu beschimpfen oder zu belächeln.

Es gibt ein verbreitetes Phänomen während der Psychotherapie: Wenn ein Klient sich ändert und seine alten destruktiven Verhaltensmuster ablegt, leistet seine Umgebung – die Familie und die Angehörigen – gewaltigen Widerstand, als würden sie den Klienten in seiner alten Lebensweise mit aller Kraft zurückhalten wollen. Sie erpressen und beschimpfen, drohen mit Liebesentzug oder mit Verbannung aus der Familie, sie entziehen ihm finanzielle Unterstützung bis zum Streichen aus dem Kreis der Erben. Warum ist es so? Müssten sie sich nicht für ihren genesenden Familienmitglied freuen?

Es liegt daran, dass in einer Familie, in der toxische Beziehungen herrschen, Mitglieder nicht frei leben, sondern co-abhängig. Sie leisten bestimmte „Dienste“ für einander und sind in einem Familiendrama mit festem Drehbuch und Rollenaufteilung gebunden, wie z. B. der Bösewicht und das Opfer, der Tatkräftige oder der Schwache. Das Opfer kann nur seine Opferrolle spielen, wenn es einen Bösewicht gibt. Es braucht ihn, sonst kann es nicht Opfer sein.

Wenn sich ein Familienmitglied diese toxischen Beziehungsmuster bewusst wird, sie nicht länger erledigen will, und sich weigert nach dem gewohnten Drehbuch zu leben, werden ihm Steine in den Weg gelegt. Wenn ein „Bösewicht“ nicht länger „böse“ sein möchte, entzieht er dem Opfer seine Lebensgrundlage und die Vorteile, die diese für das Opferdasein mit sich bringen, wie z. B. sich vor jeglicher Verantwortung zurückzuziehen.

Wenn jemand seinen eigenen Weg gehen will, wird er angefeindet, ihm wird Egoismus vorgeworfen. Er lässt sich nicht länger benutzen. Er gibt kein Futter mehr für die Rollen der anderen und stellt sie so vor die Aufgabe, ihre eigenen Rollen ebenfalls zu überdenken. Er macht ihnen bewusst, dass sie abhängig sind. Wenn er aber ein Gespräch und Aussprache sucht und seinen Angehörigen über die toxischen Beziehungsmuster berichtet und sie bittet, diese zu verlassen, findet er kein Gehör. Er wird nicht ernst genommen, wie schon immer seit der Kindheit. Alles geschah doch nur zu seinem Besten aus Liebe, das müsse er einsehen. Alles ist nur Hirngespinst. Dann wird er zu dem „Irren mit dem Aluhut“ der Familie ernannt.

Es ist leicht, einen wehrlosen und gehorsamen Familienmitglied oder Bürger zu erschaffen. Man muss ihn nur nach der Geburt vom Körper seiner Mutter trennen. Es fügt dem Baby so ein unerträgliches Leiden zu und verletzt es so tief, dass es nur mit dem Einfrieren der Gefühle möglich wird, es zu überstehen. So wachsen wir heran, nichts fühlend und mit verstummter inneren Stimme. Wir orientieren uns nach außen – nach Vorschriften und Vorgaben, Anordnungen und Regeln, mit dem Glauben, wir können eh nichts dagegen ausrichten. Wer diese aber infrage stellt, ist ein Verräter. Zur Mehrheit zu gehören gibt uns die ersehnte Sicherheit.

Wenn ich nach einem Ausweg suche, dann sehe ich mir meine Kinder an und weiß, dass es ihnen so nicht passieren wird. Sie leben durch und durch im Einklang mit ihrer inneren Stimme, auch wenn sie bestimmte Regeln befolgen müssen. Das ist kein Widerspruch. Es herrscht keine Anarchie, sondern das bewusste Zusammenleben, bei dem das Glück des einen nicht auf dem Unglück des anderen basiert. Jeder hat die Möglichkeit, sich zu entfalten und gleichzeitig ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Wenn ihre Wünsche gehört werden, lernen sie, Wünsche Anderer ebenfalls zu hören und zu respektieren.

Wenn ich mit Frauen arbeite, die ihre Kinder anders großziehen wollen, als wie sie selbst wurden, dann weiß ich, dass ich damit nicht alleine bin. Vielleicht dauert es noch, bis die Kinder von heute groß werden, spätestens dann wird die Welt eine andere sein. Bis dahin bleibt uns nur übrig, auf unsere innere Stimme zu hören, ohne Angst und Zweifel, denn diese innere Stimme ist das Einzige, was uns wahrhaftig immun macht, gegen alle Parolen, von welcher Seite auch immer sie kommen mögen.

Woman protesting REUTERS/Christian Mang