von inga | Juli 19, 2020 | Allgemein, Medien, Persönliches Wachstum
Ich freue mich riesig über gleich zwei mediale Auftritte, die meine Arbeit, mein Buch und meinen persönlichen Lebensweg ins Rampenlicht stellen.
In der gedruckten Sommerausgabe des Magazins „The mothering journey“ erschien ein Ausschnitt meines Buches. Die Zeitschrift „The mothering journey“ ist neu auf dem Markt und widmet sich an die neue Generation von Müttern, die achtsam, bewusst und verbunden werden möchten. Es werden Themen wie die Geburt, das Wochenbett und Körperbewusstsein angesprochen. Und wie der Name schon verrät, wird das Muttersein als eine Reise beschrieben, die Reise sowohl zu sich selbst, als auch seelisch näher an unsere Kinder.
Man kann die gedruckte Ausgabe des Magazins auf der Homepage bestellen.

Der zweite Auftritt ist ein Podcast-Interview mit Irina Schott. Irina hat einen Podcast-Kanal eröffnet mit dem Titel „Die Selbstentdeckungsreise“. Ihr Anliegen ist die Entfaltung deiner seelischen Potenziale, dabei führt sie Interviews mit inspirierenden Menschen sowie teilt ihre eigenen Erkenntnisse mit.
Das Interview mit Irina war ein schönes Erlebnis. In meiner Arbeit bin ich normalerweise diejenige, die Fragen stellt. Nun könnte ich mich zurücklehnen und etwas von mir erzählen. Es ist eine Kunst, die richtigen Fragen zu stellen und den Gesprächspartner zum Öffnen zu bringen. Beides hat Irina mit Bravour gemeistert, so dass ich am Ende viel von meinem persönlichen Weg erzählt habe, von Geburten meiner Kinder und von so manchen Entbehrungen aus meiner Kindheit. Danke Irina für das inspirierende Gespräch!
Hier geht es zum Interview.

An diese Stelle verrate ich euch noch etwas. Der Titel der Podcast-Folge „Vom Kind, das ich war, zu der Mutter, die ich bin“ war ursprünglich mein Originaltitel zum Buchtitel. Der Verlag hat sich für einen anderen, euch bekannten Titel entschieden. Aber ein wenig trauere ich dem Alten noch hinterher. Wie findet ihr ihn?
Beide Anbieter verbindet die Sicht auf das Muttersein als eine Quelle wertvoller Erfahrungen, die uns bereichert. Ich wünsche Euch viel Spaß mit der Lektüre und mit dem Podcast.

Autorin Inga Erchova mit ihrem Buch
von inga | Juli 4, 2020 | Allgemein, Persönliches Wachstum
Die Lehren aus der Corona-Krise.
Historische Ereignisse der Corona-Pandemie sind noch nicht überwunden, gleichzeitig berappeln wir uns langsam aus der Schockstarre und kehren zur neuen „Normalität“ zurück. Und es ist an der Zeit zu rekapitulieren, was mit uns geschah? Was haben wir durchlebt? Was hat uns verändert und was bleibt zurück? Um daraus einen vorsichtigen Blick in die Zukunft zu wagen in die Welt nach Corona, oder doch mit ihr?
Wie bei einzelnen Menschen so auch kollektiv zeigen Symptomen immer dorthin, wo es wehtut, wo der Konflikt noch brennt und zwingt uns, den Umgang mit dem schmerzenden Thema zu verändern. Das Thema der aktuellen Krise ist die Nähe und Distanz. Corona hat uns auf Abstand zu einander gebracht, in die Isolation getrieben und doch gleichzeitig eine neue Nähe und Intimität geschaffen, wo früher keine war.
Eine Krise offenbart immer Seiten von uns, die im „Normalbetrieb“ verborgen bleiben. Auch Politiker, Ärzte, Virologen und andere „professionellen“ Akteuren des Geschehens handeln in der Krise aus Angst, Ambitionen, Minderwertigkeitsgefühlen, Streben nach Sicherheit und Anerkennung oder auch aus purer Sehnsucht nach Liebe. Wir sind alle nur Menschen. Es ist an der Zeit, einen Blick in den kollektiven Schatten zu werfen, denn nur so können wir die aktuelle Krise gemeinsam verarbeiten.
Ich habe die Kurve der Krisenentwicklung rekonstruiert. So in etwas habe ich sie erlebt.
Phase1. Der Schreck und das Hamstern.
Das Wort Lockdown kannten wir vorher höchsten aus Action Filmen, genau so unwirklich klang seien Ankündigung durch die Regierung. Wir konnten kaum glauben, dass so etwas je möglich war, dass das Leben da draußen komplett aufhören würde und dass wir einfach zuhause bleiben, auf unbestimmte Zeit. Wir haben versucht, die Verunsicherung mit Vorratskäufen zu dämpfen, und hofften leise, dass es nach ein Paar Wochen bestimmt überstanden sein wird – so zu Ostern vielleicht. Wir nahmen die Anordnung ernst, denn wir waren besorgt darüber, ob das neuartige Virus eine reale Gefahr für unsere Gesundheit darstellt. Abwarten und Tee trinken, hieß es, in eigener Küche mit dem Handy in der Hand.
Schon kurz vor dem Lockdown wurde es seltsam intim: Plötzlich hatten wir alle ein gemeinsames Thema, das wir mit x-beliebigen Fremden besprechen konnten, liefen mit großen Packungen Klopapier durch die Straßen und zeigten uns mit unsren intimen Bedürfnissen entblößt. Wer hat das größte Pack? Puh, zu viel Information!
Phase 2. Romantischer Lockdown. Der Ausstieg aus dem Hamsterrad des Alltags.
Nun wurde es still. Gespenstisch leere Städte und Straßen, wie wir sie noch nie gesehen hatten. Es war ein neues Erlebnis – gruselig und schön zugleich. Erst jetzt ist es uns aufgefallen, im welch einem Gedränge wir tagtäglich gelebt hatten. Nun konnten wir endlich innerlich durchatmen – keine Menschenmassen, keine Termine, kein Hamsterrad des Alltags, plötzlich Freizeit, plötzlich viel Zeit für alles, was bisher liegen geblieben war – Nähprojekte, Reparaturen, neue Hobbys, Basteln und Backen mit Kindern. Eine wohltuende Pause.
Romantische Gefühle kamen auf bei dem Anblick, wie die Fische in Venedigs Kanälen schwammen und wilde Tiere durch die Städte wandern. Sehen sie nach, was mit uns los ist? Die Natur atmete mit uns auf. Menschen sangen gemeinsam auf Balkonen als Zeichen der Solidarität, isoliert und doch sehr eng zusammen. Wir waren zwar alleine in unseren Wohnungen oder Häusern eingesperrt, doch gefühlt waren wir solidarisch mit der ganzen Welt. Noch nie war die Welt ein kleineres Dorf gewesen, noch nie haben wir uns als Menschheit – als etwas Ganzes – so verbunden gefühlt. Wir haben Fotos „Der Blick aus meinem Fenstern“ getauscht, für Nachbaren eingekauft, Balletttänzer oder Popikonen in ihren Pyjamas erlebt und ihre Küchen gesehen, so menschlich und verletzlich, wie wir alle sind. Zum Glück gibt es das Internet – der Lebensretter.
Das, was selbstverständlich war, wurde plötzlich unmöglich und umgekehrt, etwas, was wir uns nie vorstellen konnten, war plötzlich möglich, zum Beispiel das Homeschooling.
Eigene Kinder zu Hause zu unterrichten, nach eigenen Regeln und Weltbildern – ein Traum, der so manche Familien aus Deutschland auswandern ließ, musste plötzlich notgedrungen einen Blitzstart erleben. Für mich war es erleuchtend zu erleben, wie meine Kinder beim Lernen eigentlich sind. Im Alltag hatte ich keine Zeit dazu, jetzt schaute ich mir ihre Bücher genau an, lernte ihre Handschrift kennen, ihre Art zu lernen und zu denken. Wieder eine neue Nähe und Intimität war da. Doch meine Kinder flüchten vom Lernen regelmäßig ins Spielen, Tanzen oder Toben und ich ließ sie und genoss den Anblick, wenn drei Schwester mit erheblichem Altersunterschied süß zusammenspielten. In der Zeit der Isolation waren sie die besten und die einzigen Spielkameraden für einander, es schweißte sie zusammen, denn sie hatten nur sich selbst.
So harrten wir über Wochen in eigenen vier Wänden aus und können ihnen nicht entfliehen. So viel Zeit am Stück habe ich noch nie mit meinen Kindern verbracht und lernte sie neu kennen. Viele Bekannte erlebten diese Phase als Geschenk, besonders, wenn sie vom Arbeitgeber weiter versorgt wurden. „Das alte Leben war mir eh zu stressig und Kinder wollte eh nie zur Schule“, – war oft die Reaktion auf die notgedrungene Pause.
Phase 3. Der nervige Lockdown
Dann kippte die Situation, wie die Milch von jetzt auf gleich sauer wird. Plötzlich nervten die musizierenden Nachbaren auf dem Balkon, der Müll quellte aus den Tonnen, die hellhörige Wände ließen zu viel Intimes von den Nachbarn durch, verletzten unsere Grenzen und offenbarten wieder zu viel Nähe, die wir nicht mehr wollten. Auch meine drei Kinder, die nun permanent zuhause waren, nervten die kinderlosen Nachbarn, die ihre Ruhe haben wollten. Alle waren zu Hause und gingen sich gegenseitig auf den Keks.
Kinder zuhause, Arbeit zuhause, Freizeit zuhause, wir rücken uns gegenseitig auf die Pelle. „Wie halte ich meine Familie aus?“, – schreibt ein Kolumnist. Es entstand die neue Dichte und die neue Sehnsucht nach Distanz.
Wenn die Außenwelt aufhört zu sein, blüht die Innenwelt umso stärker auf. Wir träumten wieder mehr, grübelten mehr über den eigenen Weg, haben engeren Kontakt mit der Familie. Wir kochten praktisch im eigenen Saft und es wurde bald zu viel des Guten. Der Drang, wieder nach außen zu gehen, war offensichtlich und irgendwann durften wir wieder raus, doch mit Auflagen.
Phase 4. Die große Spaltung. Die Maskenpflicht, der Maulkorb und der Alluhut.
Wir durften wieder rausgehen aber auf Abstand bleiben. Städte waren wie von Spinnweben umhüllt in Plastikfolien, Trennwände, Spuckschutzfolien, Abstandhalter und anderen trennenden Vorrichtungen. Wie hinter einem Bettlaken konnte ich die Kassiererin hinter ihrem Plastikvorhang kaum erkennen und schon gar nicht akustisch verstehen, was sie da murmelt.
Die Schutzmaskenpflicht trat in Kraft und zeigte rasch ihre polarisierende symbolische Wirkung. Aus Vermummungsverbot wurde das Vermummungsgebot. Für einige war die Maske ein willkommenes Versteck, selbst draußen auf dem Fahrrad trugen sie diese ganz freiwillig und waren froh, endlich unerkannt bleiben zu dürfen.
Für andere war es allerdings eine Qual – Erstickungsgefühl, ein Maulkorb und die Beschneidung ihrer Freiheit.
Die Gesellschaft entzündete, ging in Flammen auf und spaltete sich in zwei Lager mit großer Kluft dazwischen in die Kritiker und die Konformisten. Uns sie gingen auf einander los, beschimpften sich und belächelten. Es brannten heiße Debatten auf. Alle Kritiker wurden von Konformisten automatisch für Verschwörer erklärt und damit für verrückt. So war es bequem, man brauchte auf ihre Argumente nicht einzugehen, weil es ja eh nur verrückte Spacken sind.
Wir bangten um die Demokratie. Ich erlebte, dass viele meiner Bekannten in Deckung gegangen sind und sich nicht trauten, sich öffentlich kritisch zu äußern. Diese Haltung machte mir Angst, ich hatte nie gedacht, dass in einem demokratischen Land wie Deutschland, die aus der Geschichte viel gelernt haben muss, die Angst frei zu sprechen, so stark sein könnte. Konformisten gingen auf Abstand mit den Kritikern, auch in meinem Freundeskreis.
Projektionen und Gegenprojektionen schaukelten sich hoch. Wer ist hier eigentlich verrückt? Systemkonformisten und Verschwörungstheoretiker sind sich aber in Wahrheit ähnlicher, als es ihnen lieb ist. Beide haben Unbehagen, fremdbestimmt zu sein. Die Verschwörer fragen sich: „Meinen die Bosse es gut mit uns?“ und antworten selber: „Nein! Und ich bin ihnen ausgeliefert.“ Konformisten schwören: „Wir dürfen die Bosse nicht hinterfragen, sonst verärgern wir noch die große Mutti. Sie meint es ja nur gut mit uns.“ Wenn man Partei für etwas ergreift, distanziert man sich von eigenen Gefühlen und schaut nur zum großen Bestimmer auf. Es ist aber der innere Kompass, der uns aus dem Wirrwarr der gegenseitigen Anschuldigungen leitet. Was fühlt sich stimmtig an? Wir dürfen fühlen, was wir fühlen. Und natürlich ist nicht jeder Kritiker automatisch ein Verschwörer.
Bill Gates ist aufgetaucht für einige als Hassfigur (Kill Bill!) für andere als Menschenfreund und Weltverbesserer. In einem Video-Interview erzählt er über seine große Leidenschaft für Impfen und kommt dabei so in Rage, dass er auf sein eigenes Unterarm einschlägt um zu zeigen wie er „den kleinen Kids die Gen manipulierte Organismen rein spritz“ und ruft dabei „Rein in die Vene, bäm!“ Meine persönliche Diagnose lautet hier – Sadist.
Phase 4: Erste Welle, zweite Welle, die Dauerwelle.
Auch diese Spaltung scheint abgekühlt zu sein. Bill Gates ist wieder von der Oberfläche verschwunden und wartet wahrscheinlich Hände reibend im Untergrund auf seinen Heiligen Gral – den Impfstoff (My precious!), den er gleich der ganzen Welt verpassen will. Warum kleinlich sein? Am nötigen Kleingeld soll es ja nicht scheitern.
Die Corona-Zeit hört gefühlt nicht mehr auf und wurde längst zum Dauerzustand, mit dem wir uns mehr schlecht als recht arrangieren. Der große Brand scheint zwar abgeflacht zu sein, aber es flammen immer wieder kleinere Feuerinseln auf in einzelnen Gebieten oder Branchen wie Schlachthöfen, Kirchen oder Gastronomie. Das Virus lodert unterschwellig, und mutiert derweilen zu neuen Formen und Arten.
Wird es je aufhören? Werden wir bleibende Schäden davon tragen? Manche Lebensbereiche sind nach wie vor stillgelegt. Da wo früher dichter Menschenkontakt war – in Bars, Diskos, Schwimmbäder, Kontaktsportarten, Paartanz – herrscht heute immer noch gespenstige Stille. Vor allem die Kultur leidet am meisten – unsere kollektive Seele. Wird es je wieder möglich sein, Tango mit einem Fremden in enger Umarmung zu tanzen?
Fazit.
Jede Krankheit offenbart den schwachen Punkt, da, wo es wehtut. Corona zeigte uns, dass wir ein Problem haben mit der Nähe. Echte, fühlende, menschliche Nähe, wenn zwei Menschen zusammen schwingen, wenn ihre Seelen unisono singen, kennen wir kaum. Wir leben zusammen alleine, abgelenkt von Todo-Listen und bleiben seelisch auf Abstand. Man merkt die Einsamkeit nicht, wenn so viel Trubel rundherum herrscht. Die Einsamkeit ist ein Gefühl, das man auch umgeben von vielen Menschen haben kann, das Gefühl, dass niemand weiß, wie es mir wirklich geht.
Nicht die Viren machen uns krank, sondern das Leben das wir führen. Es macht uns krank, dass wir nicht im Kontakt sind mit uns selbst, mit unserem wahren Ich. Wir haben Angst zu fühlen oder haben es ganz verlernt.
Durch Corona sind wir alle enger zusammengerückt. Wir dachten, wir konnten den Menschen aus dem Weg gehen, mit denen wir nichts zu tun haben wollten, eine Insel schaffen, uns in unserer kleinen Welt verkriechen? Doch plötzlich saßen wir alle in einem Boot – die Reichen mit den Armen, die Eingeborenen und die Zugereisten, die Promis und die Normalos, die Verschwörer und die Konformisten. Und dieses Boot heißt die Erde und wir alle sind die Menschheit.
Symptome machen uns ehrlich, das was sie bewirken, wollten wir unbewusst. Wir wollten es anscheinend so sehr, schafften es aber bisher nicht, dass wir uns selbst und einander ein wenig näher kommen.

Sebastiao Moreira/EPA-EFE/Shutterstock
von inga | Mai 15, 2020 | Allgemein, Bewusstsein, Krise, Mutter-Kind-Beziehung, Persönliches Wachstum
Wir erleben gerade eine Spaltung der Gesellschaft. Es bilden sich zwei Fronten: Die einen protestieren auf der Straße gegen die Einschränkungen, die anderen sind über die Proteste empört. Hervorgerufen wurde diese Spaltung durch das Einführen von Mundschutzpflicht. Scheinbar harmlose Maßnahme zeigte unerwartet eine starke symbolische Wirkungskraft.
Durch die Maske wird unser halbes Gesicht verdeckt. Aus Vermummungsverbot ist nun ein Vermummungsgebot geworden. Das Gesicht zeigen, das heißt, sich bekennen und Stellung beziehen, wird dadurch unmöglich. Der Mund – unser Kommunikationsorgan wird verdeckt. Wir empfinden es als Begrenzung der Aussprache und Meinungsfreiheit. Auch das Atmen wird erschwert, wir können nicht durchatmen und ersticken innerlich. Das alles führte dazu, dass eine Aufstandsbewegung entstanden ist und die Mundschutzmaske zu „Maulkorb“ deklariert hat. Viele wehren sich dagegen und ziehen den Ärger der „Gehorsamen“ auf sich. Es schwingt aber mehr als nur Unverständnis mit, der Ärger geht fast schon in Verachtung über? “Die Irren mit dem Aluhut” werden zu neuem Feinbild, belächelt und angefeindet. Warum eigentlich?
Für die meisten von uns ist fremdbestimmt zu sein der Normalzustand, seit dem Babyalter: Wir wurden nicht an die Brust genommen, wann wir es gebraucht hatten, sondern wann die Uhr es angeordnet hat; unsere Mama hat uns nicht auf den Arm genommen, wenn wir nach ihr gerufen haben, sondern uns alleine im leeren Zimmer weinen gelassen. So sind wir mit dem Gefühl groß geworden, unsere innere Stimme ist wirkungslos, unser Leiden findet kein Gehör, wir sind allein in dieser Welt und müssen uns fügen, dieser äußeren Kraft, die mächtiger ist als wir, die über uns bestimmt, auf Leben und Tod.
Nun sind wir groß geworden und sind nicht mehr der Mutter ausgeliefert, dennoch tragen wir die gelernte Wehrlosigkeit in uns, dieses alte Gefühl, dass wir nicht zählen, dass wir aushalten und uns fügen müssen. Heute gibt uns der Intellekt genügen „gute Gründe“, warum das so richtig sei. Es beruhigt uns ein wenig zu glauben, dass es doch bestimmt für etwas gut ist: für die Gesellschaft, für die Gesundheit, für den Kampf gegen die gefährliche Krankheit. Unsere innere Stimme ist jedoch nicht ganz in uns erloschen, sie ist wie eine winzige Flamme noch am Leben, tief in uns begraben. Aber sie darf nicht groß werden, nicht entflammen, sonst kommt die große Mutter und bestraft uns. Wir halten lieber aus, andere tun es doch auch. Manche haben es noch viel schlimmer als wir, also halten wir durch.
Aber wenn Menschen kommen, die ihre innere Stimme groß nach außen kehren und für ihre Selbstbestimmung kämpfen, dann wirkt es auf uns wie ein Verrat. Wie können sie nur? Was fällt ihnen ein? Wir müssen doch zusammenhalten, alle gleich verzichten, gleich leiden, gleich zurückstecken, an einem Strang ziehen. Aber wohin? Warum? Wozu? Das fragen wir uns nicht, denn das würde unsere kleine Flamme groß aufflammen lassen.
Wir dürfen nicht zweifeln. Es wird getan, was von oben angeordnet wird, wie die Mama damals. In unserer infantilen Hilflosigkeit hatten wir damals keine Chance, unsere Wünsche erfüllt zu bekommen. Nein, das galt als Verwöhnen und wurde verpönt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Selbstbestimmung für uns heute als purer Luxus erscheint, ein unerlaubtes Privileg. Hält man sich denn für etwas Besseres? Es bleibt uns nichts anderes mehr übrig, als Steine nach ihnen zu werden, sie zu beschimpfen oder zu belächeln.
Es gibt ein verbreitetes Phänomen während der Psychotherapie: Wenn ein Klient sich ändert und seine alten destruktiven Verhaltensmuster ablegt, leistet seine Umgebung – die Familie und die Angehörigen – gewaltigen Widerstand, als würden sie den Klienten in seiner alten Lebensweise mit aller Kraft zurückhalten wollen. Sie erpressen und beschimpfen, drohen mit Liebesentzug oder mit Verbannung aus der Familie, sie entziehen ihm finanzielle Unterstützung bis zum Streichen aus dem Kreis der Erben. Warum ist es so? Müssten sie sich nicht für ihren genesenden Familienmitglied freuen?
Es liegt daran, dass in einer Familie, in der toxische Beziehungen herrschen, Mitglieder nicht frei leben, sondern co-abhängig. Sie leisten bestimmte „Dienste“ für einander und sind in einem Familiendrama mit festem Drehbuch und Rollenaufteilung gebunden, wie z. B. der Bösewicht und das Opfer, der Tatkräftige oder der Schwache. Das Opfer kann nur seine Opferrolle spielen, wenn es einen Bösewicht gibt. Es braucht ihn, sonst kann es nicht Opfer sein.
Wenn sich ein Familienmitglied diese toxischen Beziehungsmuster bewusst wird, sie nicht länger erledigen will, und sich weigert nach dem gewohnten Drehbuch zu leben, werden ihm Steine in den Weg gelegt. Wenn ein „Bösewicht“ nicht länger „böse“ sein möchte, entzieht er dem Opfer seine Lebensgrundlage und die Vorteile, die diese für das Opferdasein mit sich bringen, wie z. B. sich vor jeglicher Verantwortung zurückzuziehen.
Wenn jemand seinen eigenen Weg gehen will, wird er angefeindet, ihm wird Egoismus vorgeworfen. Er lässt sich nicht länger benutzen. Er gibt kein Futter mehr für die Rollen der anderen und stellt sie so vor die Aufgabe, ihre eigenen Rollen ebenfalls zu überdenken. Er macht ihnen bewusst, dass sie abhängig sind. Wenn er aber ein Gespräch und Aussprache sucht und seinen Angehörigen über die toxischen Beziehungsmuster berichtet und sie bittet, diese zu verlassen, findet er kein Gehör. Er wird nicht ernst genommen, wie schon immer seit der Kindheit. Alles geschah doch nur zu seinem Besten aus Liebe, das müsse er einsehen. Alles ist nur Hirngespinst. Dann wird er zu dem „Irren mit dem Aluhut“ der Familie ernannt.
Es ist leicht, einen wehrlosen und gehorsamen Familienmitglied oder Bürger zu erschaffen. Man muss ihn nur nach der Geburt vom Körper seiner Mutter trennen. Es fügt dem Baby so ein unerträgliches Leiden zu und verletzt es so tief, dass es nur mit dem Einfrieren der Gefühle möglich wird, es zu überstehen. So wachsen wir heran, nichts fühlend und mit verstummter inneren Stimme. Wir orientieren uns nach außen – nach Vorschriften und Vorgaben, Anordnungen und Regeln, mit dem Glauben, wir können eh nichts dagegen ausrichten. Wer diese aber infrage stellt, ist ein Verräter. Zur Mehrheit zu gehören gibt uns die ersehnte Sicherheit.
Wenn ich nach einem Ausweg suche, dann sehe ich mir meine Kinder an und weiß, dass es ihnen so nicht passieren wird. Sie leben durch und durch im Einklang mit ihrer inneren Stimme, auch wenn sie bestimmte Regeln befolgen müssen. Das ist kein Widerspruch. Es herrscht keine Anarchie, sondern das bewusste Zusammenleben, bei dem das Glück des einen nicht auf dem Unglück des anderen basiert. Jeder hat die Möglichkeit, sich zu entfalten und gleichzeitig ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Wenn ihre Wünsche gehört werden, lernen sie, Wünsche Anderer ebenfalls zu hören und zu respektieren.
Wenn ich mit Frauen arbeite, die ihre Kinder anders großziehen wollen, als wie sie selbst wurden, dann weiß ich, dass ich damit nicht alleine bin. Vielleicht dauert es noch, bis die Kinder von heute groß werden, spätestens dann wird die Welt eine andere sein. Bis dahin bleibt uns nur übrig, auf unsere innere Stimme zu hören, ohne Angst und Zweifel, denn diese innere Stimme ist das Einzige, was uns wahrhaftig immun macht, gegen alle Parolen, von welcher Seite auch immer sie kommen mögen.

Woman protesting REUTERS/Christian Mang